# Kapitel 2: Der Countdown

Elena verließ den Konferenzraum mit brennenden Augen und einem Kopf voller Ideen. 48 Stunden. Weniger als zwei Tage, um das Unmögliche zu schaffen. Sie ging direkt zu ihrem Büro und begann, Namen auf ein Blatt Papier zu schreiben.

Marcus Weber würde sie brauchen - seine Expertise bei Antriebssystemen war unersetzlich. Sarah Chen von der Materialforschung musste dabei sein. Und dann war da noch David Park, ein junger Ingenieur aus der Prototypenabteilung, der für seine unkonventionellen Lösungsansätze bekannt war.

Sie griff zum Telefon und wählte Marcus' Durchwahl.

"Marcus, ich brauche dich. Sofort."

"Elena, nach dem Meeting eben... ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist."

"Hör zu. Entweder wir machen Geschichte, oder wir werden Geschichte. Kommst du oder nicht?"

Eine Pause. "Ich bin in zehn Minuten da."

Sarah Chen war schwerer zu überzeugen. "Elena, das ist Karriereselbstmord. Wenn wir scheitern..."

"Wenn wir nicht versuchen, scheitern wir garantiert. Sarah, du hast die Materialien entwickelt, die bei extremen Temperaturen funktionieren. Ohne dich ist das Projekt tot."

"Verdammt." Sarah seufzte hörbar. "Okay. Aber ich will schriftlich, dass das ein offiziell genehmigtes Projekt ist."

"Bekommst du."

David Park war begeistert, bevor Elena ihren Satz beenden konnte. "Ein radbasiertes Raumfahrzeug? Das ist genial! Wann fangen wir an?"

"Jetzt."

Elena reservierte Labor 7 im Untergeschoss - den größten verfügbaren Raum mit direktem Zugang zum Testgelände. Dann rief sie Müller an.

"Thomas, ich brauche eine schriftliche Genehmigung für das Projekt. Mein Team will Sicherheit."

"Sie bekommen 48 Stunden und Zugang zu den Materialien. Mehr nicht."

"Das reicht."

Um 10:30 Uhr versammelte sich das Team in Labor 7. Elena hatte bereits Skizzen an die Whiteboards gezeichnet - grobe Entwürfe eines Fahrzeugs, das sowohl rollen als auch fliegen konnte.

"Das Grundkonzept ist einfach", begann sie. "Ein kompakter Rumpf mit ausfahrbaren Rädern für Oberflächenoperationen und integrierten Düsentriebwerken für Raumflug."

Marcus studierte die Zeichnungen. "Die Gewichtsverteilung wird kritisch sein. Wenn die Räder ausgefahren sind, verändert sich der Schwerpunkt dramatisch."

"Deshalb brauchen wir ein adaptives System", antwortete Elena. "Die Räder müssen nicht nur ausfahrbar sein, sondern auch repositionierbar."

Sarah Chen trat näher an die Tafel. "Für die Räder können wir das neue Titan-Polymer verwenden. Es ist leicht, aber extrem widerstandsfähig gegen Temperaturwechsel."

David Park war bereits dabei, Berechnungen auf seinem Tablet durchzuführen. "Wenn wir die Räder in den Rumpf integrieren und sie nur bei Bedarf ausfahren, können wir die aerodynamischen Eigenschaften für den Raumflug beibehalten."

Elena nickte. "Genau. Das Fahrzeug muss drei Modi haben: Raumflug mit eingezogenen Rädern, Oberflächenfahrt mit ausgefahrenen Rädern, und einen Übergangsmodus für Start und Landung."

Die nächsten vier Stunden verbrachten sie mit detaillierten Berechnungen. Marcus arbeitete an den Antriebsspezifikationen, Sarah entwickelte die Materialanforderungen, und David entwarf das mechanische System für die ausfahrbaren Räder.

Elena koordinierte alles und löste Probleme, sobald sie auftauchten. Als Marcus feststellte, dass die Düsentriebwerke zu schwer für den Oberflächenmodus waren, schlug sie vor, sie schwenkbar zu machen - so konnten sie sowohl für Raumflug als auch für Manöver auf der Oberfläche genutzt werden.

Um 15:00 Uhr hatten sie einen funktionsfähigen Entwurf. Das Fahrzeug würde etwa so groß wie ein kleiner Lieferwagen sein, mit vier ausfahrbaren Rädern und zwei schwenkbaren Düsentriebwerken. Der Rumpf war stromlinienförmig für den Raumflug, aber robust genug für Oberflächenoperationen.

"Jetzt kommt der schwierige Teil", sagte Elena. "Wir müssen es bauen."

Sie teilte das Team auf. Marcus und David würden die mechanischen Komponenten zusammenbauen, während Sarah und Elena an der Elektronik und den Steuerungssystemen arbeiteten.

Die Materialien zu beschaffen war einfacher als erwartet. SpaceX hatte die meisten benötigten Komponenten bereits auf Lager - Titanlegierungen, Hochleistungsmotoren, Computerchips. Elena nutzte ihre Autorität als Abteilungsleiterin, um alles zu requisitionieren.

Um 18:00 Uhr begann der eigentliche Bau. Elena hatte seit dem frühen Morgen nichts gegessen, aber der Adrenalinstoß hielt sie wach. Sie arbeitete an der Programmierung der Steuerungssoftware, während um sie herum das Fahrzeug Gestalt annahm.

Marcus und David schweißten den Rahmen zusammen - eine elegante Konstruktion aus Titanrohren, die sowohl leicht als auch stabil war. Die Räder waren Meisterwerke der Ingenieurskunst: jedes einzelne konnte sich um 360 Grad drehen und war mit einem eigenen Elektromotor ausgestattet.

Sarah arbeitete an den Düsentriebwerken. Sie hatte zwei kompakte Modelle aus dem Falcon-9-Programm adaptiert und sie so modifiziert, dass sie um 90 Grad schwenkbar waren.

"Elena", rief Marcus um 22:00 Uhr. "Wir haben ein Problem mit der Energieversorgung. Die Batterien sind zu schwer für den Raumflugmodus."

Elena sah von ihrem Computer auf. Ihre Augen brannten, aber ihr Verstand war noch scharf. "Was ist mit Brennstoffzellen?"

"Zu komplex für die verfügbare Zeit."

"Hybridlösung", schlug David vor. "Kleine Batterien für die Räder, Raketentreibstoff für die Düsen."

"Das könnte funktionieren", stimmte Sarah zu. "Wir müssen nur sicherstellen, dass die Systeme voneinander getrennt sind."

Sie arbeiteten die ganze Nacht durch. Elena döste zwischendurch für zwanzig Minuten auf einem Stuhl, aber der Rest des Teams hielt sie wach. Um 4:00 Uhr morgens war der Prototyp zu 70 Prozent fertig.

"Wir brauchen einen Namen", sagte David, während er die letzten Kabel verlegte.

"Rover-X", schlug Marcus vor.

"Zu langweilig", widersprach Sarah.

Elena betrachtete das Fahrzeug. Es sah aus wie eine Kreuzung zwischen einem Rennwagen und einem Raumschiff. "Hermes", sagte sie schließlich. "Der Götterbote. Schnell zu Lande und in der Luft."

"Hermes gefällt mir", stimmte David zu.

Um 6:00 Uhr am Dienstagmorgen war der Prototyp fertig. Elena stand vor dem Fahrzeug und konnte kaum glauben, was sie in weniger als 24 Stunden geschaffen hatten. Hermes war etwa vier Meter lang und zwei Meter breit. Die Räder waren eingezogen, und das Fahrzeug sah aus wie ein futuristisches Raumschiff.

"Systemcheck", sagte Elena.

Marcus aktivierte die Elektronik. "Alle Systeme online. Batterien bei 100 Prozent, Treibstofftanks voll."

Sarah überprüfte die Materialintegrität. "Alle Verbindungen stabil. Keine Lecks in den Treibstoffleitungen."

David testete die mechanischen Systeme. "Räder fahren aus... perfekt. Düsen schwenken... einwandfrei."

Elena atmete tief durch. "Dann ist es Zeit für den ersten Test."

Sie führten Hermes aus dem Labor auf das Testgelände. Es war ein großer, asphaltierter Bereich hinter dem Hauptgebäude, der normalerweise für Raketentests verwendet wurde. Um diese frühe Stunde war er verlassen.

Elena setzte sich in das kleine Cockpit. Die Steuerung war einfach gehalten - ein Joystick für die Richtung, Pedale für Geschwindigkeit und Bremsen, und ein separates Panel für die Düsentriebwerke.

"Bereit für Oberflächentest", meldete sie über Funk.

"Grünes Licht", antwortete Marcus von der provisorischen Kontrollstation.

Elena drückte vorsichtig das Gaspedal. Hermes rollte langsam vorwärts. Die Räder griffen perfekt auf dem Asphalt, und das Fahrzeug bewegte sich so geschmeidig wie ein normales Auto.

Sie beschleunigte. 20 km/h, 40 km/h, 60 km/h. Hermes reagierte präzise auf jede Lenkbewegung. Elena fuhr eine Runde um das Testgelände und bremste dann ab.

"Oberflächentest erfolgreich", meldete sie. "Bereit für Flugtest."

"Elena, bist du sicher?", fragte Sarah über Funk. "Wir haben die Flugsysteme noch nicht vollständig getestet."

"Jetzt oder nie", antwortete Elena.

Sie aktivierte das Düsensystem. Die beiden Triebwerke schwenkten nach unten und zündeten mit einem leisen Zischen. Hermes hob langsam vom Boden ab.

Elena spürte, wie ihr Herz hämmerte. Das Fahrzeug schwebte etwa einen Meter über dem Asphalt, stabil und kontrollierbar. Sie bewegte den Joystick nach vorn, und Hermes glitt vorwärts.

"Unglaublich", hörte sie David über Funk murmeln.

Elena flog eine kleine Runde über das Testgelände. Die Steuerung war intuitiv - fast wie ein Videospiel. Sie landete sanft und schaltete die Triebwerke ab.

"Test erfolgreich", meldete sie. "Hermes funktioniert perfekt."

Sie stieg aus dem Cockpit und wurde von ihrem Team umringt. Marcus klopfte ihr auf die Schulter, Sarah umarmte sie, und David strahlte wie ein Kind an Weihnachten.

"Wir haben es geschafft", sagte Elena. "Wir haben tatsächlich ein funktionsfähiges radbasiertes Raumfahrzeug gebaut."

"In weniger als 24 Stunden", fügte Marcus hinzu. "Das ist ein Rekord."

Elena sah auf ihre Uhr. Es war 7:15 Uhr am Dienstagmorgen. Sie hatten noch über 24 Stunden bis zu Müllers Deadline.

"Wir sollten den Test dokumentieren", schlug Sarah vor. "Für die Präsentation morgen."

David holte eine Kamera und begann, Hermes aus verschiedenen Winkeln zu filmen. Elena demonstrierte noch einmal die Rad- und Flugfunktionen, während Marcus die technischen Daten kommentierte.

Sie waren so konzentriert auf ihre Arbeit, dass sie den Mann nicht bemerkten, der etwa hundert Meter entfernt hinter einem Gebäude stand. Er trug die blaue Uniform eines Wartungstechnikers und hielt ein Fernglas in der Hand.

Der Mann beobachtete den gesamten Test aufmerksam. Als Elena das zweite Mal abhob, zückte er sein Smartphone und machte mehrere Fotos. Dann tippte er eine kurze Nachricht und sendete sie ab.

Die Nachricht erreichte Jeff Bezos in seinem Büro in Seattle um 7:23 Uhr Ortszeit. Er öffnete die Bilder und starrte ungläubig auf den Bildschirm.

"Das ist unmöglich", murmelte er.

Aber die Fotos logen nicht. SpaceX hatte ein radbasiertes Raumfahrzeug entwickelt. Und es funktionierte.

Bezos griff zum Telefon und wählte die Nummer seines Chefingenieurs bei Blue Origin.

"Robert, Notfalltreffen in einer Stunde. Alle verfügbaren Ingenieure. Wir haben ein Problem."

Auf dem SpaceX-Testgelände packten Elena und ihr Team ihre Ausrüstung zusammen. Sie waren erschöpft, aber triumphierend. Hermes stand vor ihnen - der Beweis, dass das Unmögliche möglich war.

"Morgen früh präsentieren wir das Müller", sagte Elena. "Und dann verändert sich alles."

Der Wartungstechniker war bereits verschwunden. Seine Mission war erfüllt. Die Informationen waren übertragen.

Elena wusste noch nicht, dass ihr größter Triumph bereits zu ihrem größten Problem geworden war.

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